In der ganzen Zeit von 1914 bis in den Zweiten Weltkrieg wurde nur ein einziges orthodoxes Gotteshaus neu errichtet, und zwar die russische Kathedrale zu Berlin, die im November 1928 zunächst in der dritten Etage eines von der dortigen Gemeinde erworbenen Mietshauses eingerichtet worden war. Doch schon ein Jahr später wurde das Haus zwangsversteigert und die Gemeinde musste die benötigten Räumlichkeiten, auch einen Gottesdienstraum, anmieten
Archimandrit Tichon (Ljaschenko), der seit 1921 die Berliner Gemeinde leitete und 1924 von Metropolit Jewlogi (Georgijewski) zum Vikarbischof ordiniert worden war, war im November 1926 von der Synode der russischen Auslandsbischöfe zum Bischof von Berlin und Deutschland ernannt worden. Allerdings unterstellten sich ihm nicht alle in Deutschland befindlichen russischen Gemeinden, denn der Streit in der russischen Emigration begann, sich auch auf das orthodoxe Leben in Deutschland auszuwirken.
Der Hintergrund war, dass es in dieser Zeit zum Bruch zwischen dem Vikarbischof Tichon und seinem in Paris residierenden Metropoliten Jewlogi kam, dem Patriarch Tichon und der Petrograder Metropolit Wenjamin die Verwaltung aller russischen Kirchen in Westeuropa übertragen hatten. Zu dieser Zeit handelte Metropolit Jewlogi noch in Übereinstimmung sowohl mit der Heimatkirche des Moskauer Patriarchates als auch mit der Synode der Auslandsbischöfe. Als sich nun in Russland der antireligiöse Terror der kommunistischen Regierung steigerte und immer mehr Geistliche in Bedrängnis gerieten, vor allem aber Patriarch Tichon Loyalitätserklärungen gegenüber dem Sowjetstaat abgeben musste, argumentierte die inzwischen unter Leitung von Metropolit Antoni (Chrapowizki) gebildete Synode der Auslandsbischöfe, die auf Einladung der Serbischen Orthodoxen Kirche in Sremski Karlovci (Karlowatz in Syrmien) in Nord-Serbien eine Heimat gefunden hatte, dass eine reguläre kirchliche Gewalt in Russland nicht existiere, die so frei handeln könne, dass man ihr Gehorsam schulde. Ihrerseits legten sich die Auslandsbischöfe in politischen Fragen eindeutig auf die monarchistische Linie fest und forderten auf einem Konzil in Sremski Karlovci 1922 die Wiederherstellung des russischen Zarentums unter dem Großfürsten Kirill Wladimirowitsch als Zar Kirill 1. Daraufhin erklärte Patriarch Tichon am 18. März (1. April) 1922:
“1. Ich erkläre das Konzil des Auslandsklerus und der Laien in Karlovci für bar kanonischer Bedeutung; seine Botschaft über die Wiederherstellung der Dynastie Romanow und sein Sendschreiben an die Konferenz zu Genua drücken nicht die offizielle Stimme der Russischen Kirche aus.
2. Angesichts dessen, dass sich die russische Kirchenleitung im Ausland auf das Gebiet der politischen Aktionen begibt, … halte ich dafür, die Oberste Kirchenleitung im Ausland aufzulösen….”.
Während Metropolit Jewlogi dem Patriarchen weiter die Treue hielt und ihm Gehorsam leistete, erklärte die Synode in Karlovci die Auflösungsverfügung Patriarch Tichons für ungültig, da sie von den sowjetischen Machthabern erzwungen worden sei, und begann mit der Organisation einer eigenständigen “Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland”. Diese Entwicklung führte 1926 auch zu dem erwähnten Bruch in der russischen Emigration in Deutschland und zur Spaltung der Gemeinden.
Nachdem der Nationalsozialismus in Deutschland 1933 zur herrschenden politischen Kraft geworden war und sein diktatorisches Regime errichtet hatte, begann auch die “Gleichschaltung” der orthodoxen Gemeinden, nämlich durch die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die “Russisch-Orthodoxe Diözese des Orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland”, wie sich das Bistum in der Synode der Auslandsbischöfe nannte, durch das Preußische Staatsministerium am 14. März 1936 und wenig später, am 25. Februar 1938, durch ein vom “Führer und Reichskanzler” Adolf Hitler unterzeichnetes “Gesetz über den Grundbesitz der russisch-orthodoxen Kirche”, wurde ermöglicht, den gesamten alten russischen Kirchenbesitz, vor allem die Gottesdiensträume, der Exilsynode zu übergeben. Dies zwang die bislang Metropolit Jewlogi unterstehenden Geistlichen, entweder zu Bischof Tichon überzuwechseln oder ihre Pfarreien aufzugeben beziehungsweise obdachlos zu werden.
Einen weiteren deutlich sichtbaren Ausdruck fand die Unterstützung der Synode der russischen Auslandsbischöfe und ihres Vertreters in Deutschland, Bischof Tichon, durch die nationalsozialistische Deutsche Reichsregierung schon im Jahre 1935. Der Kathedralgemeinde wurde mit Unterstützung des Reichskirchenministeriums und eines Versicherungskonzerns ermöglicht, die heute noch existierende Christi-Auferstehungskathedrale in Berlin-Wilmersdorf zu erbauen, die 1938 geweiht wurde.
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges kam es zu einer Reihe kurzzeitiger Veränderungen, die die Orthodoxe Kirche in Deutschland betrafen. So wurde beispielsweise im Zuge des deutschen Überfalls auf Polen und dann auf die Sowjetunion der Jurisdiktionsbereich des Vorstehers der Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland zeitweise weit nach Osten erweitert. Denn die deutschen Besatzungsbehörden vertrauten lieber ihm die Leitung der dortigen Gemeinden und Kirchen an als den einheimischen Bischöfen. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, dass der geborene Sachse Serafim (Lade: 1883 bis 1950) ab 1931 zuerst als Vikar und ab 1938 als Diözesanbischof von Berlin und Deutschland der russischen Orthodoxie in Deutschland vorstand. 1942 wurde Serafim zum Metropoliten von Mitteleuropa erhoben und von deutscher Seite mit weiteren Kompetenzen in den besetzten Gebieten Westrusslands ausgestattet. Dies trug ihm nach dem Krieg den Vorwurf ein, mit den Nationalsozialisten kollaboriert zu haben. Auch in Deutschland selbst wurde die Unterstellung aller orthodoxen Gemeinden unter Metropolit Serafim mit staatlicher Gewalt betrieben.
Diese kirchenpolitischen Veränderungen hatten allerdings nur so lange Bestand, wie die deutsche Herrschaft im Osten und das nationalsozialistische Regime währten: 1945 musste Metropolit Serafim nach München fliehen, wo er 1950 unter nie geklärten Umständen verstarb.