Russische Emigration nach 1945

Die Bevölkerungsumschichtungen am Ende des Krieges brachten mit sich, dass erneut eine große Zahl orthodoxer Christen aus den osteuropäischen Ländern nach Deutschland kamen. Es handelte sich zum einen um ehemalige verschleppte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Zivilinternierte und Häftlinge aus Konzentrationslagern. Zum andern waren es aber auch Hilfswillige und Kollaborateure, die im Krieg auf deutscher Seite gekämpft hatten, ja, ganze Truppenteile, die geglaubt hatten, mit Hitler das kleinere Übel gegenüber dem stalinistischen Bolschewismus zu wählen. Zusammen mit all den anderen Menschen, die es aus Osteuropa nach Deutschland verschlagen hatte, orthodoxer Christen aus, 1946 auf dem Gebiet der westlichen Besatzungszonen ins gesamt rund 150 russische orthodoxe Kirchen gezählt wurden, davon die meisten in Vertriebenen- und Flüchtlingslagern. Allerdings bestanden die meisten nur zeitweilig: Die Zahl der Gemeinden in Westdeutschland ging in den folgenden Jahren kontinuierlich zurück, da die Mehrzahl der Flüchtlinge so rasch wie möglich eine Übersiedlung nach Übersee anstrebte. So gab es in den drei westlichen Besatzungszonen 1949 nur noch 77 russischen Gemeinden mit 135 Geistlichen und rund 50 000 Gläubigen. Seit jener Zeit ist die Zahl stetig gesunken.

In Berlin und auf dem Territorium der damaligen sowjetischen Besatzungszone, der späteren Deutschen Demokratischen Republik, waren die dortigen russischen Gemeinden schon 1945 wieder in die Oberhoheit des Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus aufgenommen worden. Für sie wurde die Diözese von Berlin und Mitteleuropa gebildet, die zeitweilig, von 1948 bis 1960 und wieder seit 1992, den Namen “Diözese von Berlin und Deutschland” trug. Da allerdings die überwiegend aus alten und neuen Emigranten sowie aus von der Sowjetmacht Geflüchteten bestehenden russischen Gemeinden in den drei westlichen Besatzungszonen und in der späteren Bundesrepublik Deutschland nicht gewillt waren, sich einer Kirchenleitung zu unterstellen, die ihren Sitz im kommunistischen Machtbereich hatte, verweigerten sie sich einer Aussöhnung mit dem Patriarchen von Moskau. Sie blieben in der Auslandskirche, obwohl diese offiziell von keiner der autokephalen orthodoxen Kirchen als kanonisch anerkannt wird.

Die erste Gemeinde des Moskauer Patriarchates wurde erst 1960 in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet, als eine westdeutsche Diözese mit Sitz in München gegründet wurde, die 1971 in die Diözese von Baden und Bayern sowie die von Düsseldorf für die übrigen Bundesländer geteilt worden ist. Die meisten aktiven Gemeindemitglieder der westdeutschen Pfarreien des Moskauer Patriarchates waren zu dieser Zeit Konvertiten aus der römisch-katholischen oder den evangelischen Kirchen. Lediglich in Westberlin existierte bei der jetzt ebenfalls zum Moskauer Patriarchat gehörigen russischen Kathedrale in Wilmersdorf eine größere, russischstämmige Gemeinde. Eine weitere zahlenmäßig bedeutendere russische Pfarrei des Patriarchats gab es in Baden-Baden, bis ihr auf gerichtlichem Wege das alte Kirchengebäude entzogen und der Auslandskirche zugesprochen wurde. Insgesamt dürfte die Zahl der Mitglieder des Moskauer Patriarchates in den alten Bundesländern kaum mehr als 2 000 betragen haben.

Doch auch die Zahl der Gemeindemitglieder der Auslandskirche, deren Diözesanbischof, der ebenfalls den Titel “von Berlin und Deutschland” trägt und zuerst in München, dann in Hamburg und jetzt wieder in München residiert, sank in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich, vor allem in den 70er und 80er Jahren, als die meisten der älteren Emigranten verstarben. Sie betrug um 1990 wohl nur noch etwa 6000 Menschen.

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