Russische Emigration nach 1945

Die Bevölkerungsumschichtungen am Ende des Krieges brachten mit sich, dass erneut eine große Zahl orthodoxer Christen aus den osteuropäischen Ländern nach Deutschland kamen. Es handelte sich zum einen um ehemalige verschleppte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Zivilinternierte und Häftlinge aus Konzentrationslagern. Zum andern waren es aber auch Hilfswillige und Kollaborateure, die im Krieg auf deutscher Seite gekämpft hatten, ja, ganze Truppenteile, die geglaubt hatten, mit Hitler das kleinere Übel gegenüber dem stalinistischen Bolschewismus zu wählen. Zusammen mit all den anderen Menschen, die es aus Osteuropa nach Deutschland verschlagen hatte, orthodoxer Christen aus, 1946 auf dem Gebiet der westlichen Besatzungszonen ins gesamt rund 150 russische orthodoxe Kirchen gezählt wurden, davon die meisten in Vertriebenen- und Flüchtlingslagern. Allerdings bestanden die meisten nur zeitweilig: Die Zahl der Gemeinden in Westdeutschland ging in den folgenden Jahren kontinuierlich zurück, da die Mehrzahl der Flüchtlinge so rasch wie möglich eine Übersiedlung nach Übersee anstrebte. So gab es in den drei westlichen Besatzungszonen 1949 nur noch 77 russischen Gemeinden mit 135 Geistlichen und rund 50 000 Gläubigen. Seit jener Zeit ist die Zahl stetig gesunken.

In Berlin und auf dem Territorium der damaligen sowjetischen Besatzungszone, der späteren Deutschen Demokratischen Republik, waren die dortigen russischen Gemeinden schon 1945 wieder in die Oberhoheit des Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus aufgenommen worden. Für sie wurde die Diözese von Berlin und Mitteleuropa gebildet, die zeitweilig, von 1948 bis 1960 und wieder seit 1992, den Namen “Diözese von Berlin und Deutschland” trug. Da allerdings die überwiegend aus alten und neuen Emigranten sowie aus von der Sowjetmacht Geflüchteten bestehenden russischen Gemeinden in den drei westlichen Besatzungszonen und in der späteren Bundesrepublik Deutschland nicht gewillt waren, sich einer Kirchenleitung zu unterstellen, die ihren Sitz im kommunistischen Machtbereich hatte, verweigerten sie sich einer Aussöhnung mit dem Patriarchen von Moskau. Sie blieben in der Auslandskirche, obwohl diese offiziell von keiner der autokephalen orthodoxen Kirchen als kanonisch anerkannt wird.

Die erste Gemeinde des Moskauer Patriarchates wurde erst 1960 in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet, als eine westdeutsche Diözese mit Sitz in München gegründet wurde, die 1971 in die Diözese von Baden und Bayern sowie die von Düsseldorf für die übrigen Bundesländer geteilt worden ist. Die meisten aktiven Gemeindemitglieder der westdeutschen Pfarreien des Moskauer Patriarchates waren zu dieser Zeit Konvertiten aus der römisch-katholischen oder den evangelischen Kirchen. Lediglich in Westberlin existierte bei der jetzt ebenfalls zum Moskauer Patriarchat gehörigen russischen Kathedrale in Wilmersdorf eine größere, russischstämmige Gemeinde. Eine weitere zahlenmäßig bedeutendere russische Pfarrei des Patriarchats gab es in Baden-Baden, bis ihr auf gerichtlichem Wege das alte Kirchengebäude entzogen und der Auslandskirche zugesprochen wurde. Insgesamt dürfte die Zahl der Mitglieder des Moskauer Patriarchates in den alten Bundesländern kaum mehr als 2 000 betragen haben.

Doch auch die Zahl der Gemeindemitglieder der Auslandskirche, deren Diözesanbischof, der ebenfalls den Titel “von Berlin und Deutschland” trägt und zuerst in München, dann in Hamburg und jetzt wieder in München residiert, sank in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich, vor allem in den 70er und 80er Jahren, als die meisten der älteren Emigranten verstarben. Sie betrug um 1990 wohl nur noch etwa 6000 Menschen.

17. Jahrhundert – bis ersten Hälfte 20. Jahrhundert

Im Jahre 1640 wurde im “Russischen Handelshaus” in Stockholm die erste russische orthodoxe Kirche Westeuropas geweiht. Auch in Königsberg, die Hauptstadt des Herzogtums Preußen (das heutige Kaliningrad), seit 1655 russische orthodoxe Gottesdienste stattfanden. Mit dem lebhafter werdenden Handel und diplomatischen Verkehr Russlands mit Ländern Westeuropas unter Peter I. entstanden in vielen Hauptstädten Europas anfangs russische orthodoxe Wanderkirchen und später ständige Kirchen. Im Jahre 1716 begann der Gottesdienst in der Kirche der russischen Botschaft in London, etwa im Jahre 1718 in Berlin und 1720 in Paris.

Der Bau russischer orthodoxer Kirchen in Europa nahm besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu. Die Kirchen wurden mit dem Segen des St. Petersburger Diözesanbischofs gebaut, der das russische Kirchenleben in Westeuropa leitete. So wurde im Jahre 1855 in Wiesbaden die Hl.-Elisabeth-Kirche eingeweiht, 1861 in Paris die Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit und zum Heiligen Fürsten Alexander Newskij, 1866 in Genf die Kirche zur Kreuzerhöhung, 1874 in Dresden die Hl.-Simeon-Kirche, 1876 in Ems die Kirche zur Märtyrerin Kaiserin Alexandra, 1882 in Baden-Baden die Verklärungskirche, 1883 in Kopenhagen die Kirche zum Heiligen Fürsten Alexander Newskij, 1892 in Biarritz die Kirche zu Mariä Schutz und Fürbitte und zum Heiligen Fürsten Alexander Newski, 1899 in Wien die Hl.-Nikolaus-Kirche, 1902 – l903 in Florenz die Kirche zu Christi Geburt und zu Hl. Nikolaus, 1912 in Nizza die Kirche des Hl. Nikolaus und Märtyrerin Alexandra. Im Jahre 1833 wurde eine russische Hauskirche in Athen eröffnet, 1852 erstand die Russische Kirche dort die alte Dreifaltigkeits-Kirche. Alle diese Kirchen wurden errichtet, um den religiösen Bedürfnissen der in verschiedenen Ländern Europas ansässigen orthodoxen Russen zu genügen.

Unter den russischen Kircheninstitutionen in Westeuropa ist das Wirken der Orthodoxen Brüderschaft besonders zu erwähnen, die 1890 zu Ehren des Heiligen Fürsten Wladimir vom Vorsteher der Berliner Hl.-Wladimir-Kirche, dem Oberpriester Alexij Malzew, zur Unterstützung der Not leidenden russischen Staatsangehörigen und der Orthodoxen aller Nationen aus Berlin und anderen Orten Deutschlands gegründet wurde. Von 1890 bis 1914 errichtete das Baukomitee der Brüderschaft sieben Kirchen: in Tegel die Kirche zu Hl. Konstantin und Helene (geweiht im Jahre 1894) , in Bad Homburg die Allerheiligen-Kirche (1899), in Bad Kissingen die Kirche zum Heiligen Sergius von Radonesh (1901), in Herbersdorf die zum Erzengel Michael (1901), in Hamburg die Hl.-Nikolaus-Kirche (1901), in Bad Nauheim die Kirche des Hl. Innozenz von Irkutsk und Hl. Serafim von Sarow (1908) und in Bad Brückenau die Kirche zur Heiligen Maria Magdalena (1908).

Bis 1910 waren in den Ländern Europas etwa siebzig russische orthodoxe Kirchen entstanden, die Privatkirchen nicht mitgerechnet. Die Lage im ersten Weltkrieg (1914) und im Bürgerkrieg Russlands lockerte vorübergehend die Verbindungen zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und den russischen Gemeinden in den Ländern Westeuropas. Aber schon im März 1921 ernannte der Hochheilige Patriarch Tichon den Erzbischof von Wolhynien, Eulogius (Georgijewski), zum zeitweiligen Leiter der russischen Gemeinden in Westeuropa.

Nach dem ersten Weltkrieg wuchs die Zahl der russischen orthodoxen Kirchen in den Ländern Westeuropas bedeutend an. Der Bedarf an Priestern veranlasste den Metropoliten Eulogius, im Jahre 1925 in Paris eine russische orthodoxe theologische Hochschule zu eröffnen. Die durch den Krieg unterbrochene Tätigkeit der Wladimirbrüderschaft in Berlin kam wieder in Gang. Die Zahl der Bischöfe, die europäische Gemeinden der Russischen Orthodoxen Kirche leiteten, nahm zu. Leider aber kamen in den Beziehungen des Metropoliten Eulogius zu den obersten Kirchenleitung Schwankungen vor, weshalb er im Jahre 1931 in die Jurisdiktion des Patriarchats von Konstantinopel überging. Die Leitung der europäischen Gemeinden, die der Russischen Mutterkirche die Treue bewahrten, wurde damals vom Stellvertreter des Patriarchenstatthalters, Metropolit Sergius, dem Metropoliten Eleutherius (Bogojawlenski) von Litauen und Wilna anvertraut. Der Russischen Kirche treu blieb in Frankreich Bischof Benjamin (Fedtschenkow) mit einigen Geistlichen und einer großen Gruppe Gläubiger, in Deutsch1and der Vorsteher der Fürst Wladimir-Kirche in Berlin, Erzpriester G. Prosorow, mit der Gemeinde.

Seit jener Zeit nahm das kirchliche Leben in den europäischen Gemeinden, die der Russischen Mutterkirche die Treue bewahrten, allmählich feste Formen an. Im März 1931 wurde der Hauptaltar der russischen Dreiheiligenkirche in Paris geweiht. Im Juni 1935 gründete der russische Geistliche Michail Belski in Paris eine französische orthodoxe Gemeinde, die zu Ehren der Ikone Gottesmutter “Freude aller Trauernden” benannt wurde. Im Jahre 1936 wurde der ehemalige römisch-katholische Geistliche Luois-Charles Winaert in den Schoß der Orthodoxen Kirche aufgenommen war. Anfang 1937 auch seine Gemeinde, die in Paris die Himmelfahrtsgemeinde des westlichen Ritus bildete und der gegenwärtig der Archimandrit Dionysius Chambault vorsteht.

Im Dezember 1937 wurde die Dekanat der Westlichen Orthodoxen Gemeinden unter Leitung des Geistlichen M. Belski gegründet, im März 1939 aber entstand die einheitliche Dekanat der westeuropäischen Gemeinden der Russischen Orthodoxen Kirche unter Abt Stefan (Swetosarow). Im Jahre 1944 gründete der Geistliche Lucien Chambault, als Mönch Dionisius, die erste französische orthodoxe Mönchsgemeinschaft nach den Satzungen des Heiligen Benedikt von Nursia.

Herkunft der Russisch-Orthodoxen Kirchengemeinde hl. Alexei zu Leipzig

Vorwort

1. Anfang der Geschichte der orthodoxen Gemeinde in Leipzig, Mitte des 18. Jahrhunderts

2. “Paulus, Prediger und Geistlicher der allhier in Leipzig studierenden russischen Herren”

3. Eugenio Bulgaris (1735 – 1775)

4. Errichtung der Russischen Orthodoxen Gedächtniskirche zu Leipzig

Nachwort

Literaturnachweis

Vorwort

Es ist allgemein bekannt, dass im Jahre 1913 in Leipzig die Gedächtniskirche des hl. Alexij errichtet wurde. Die Gedächtniskirche wurde als eine Gedenkstätte für die in der Völkerschlacht Gefallenen 22.000 russischen Soldaten, zur 100-jährigen Wiederkehr der Völkerschlacht bei Leipzig gegen Napoleon, eingeweiht. Sie sollte aber auch gleichzeitig eine Kirche für die orthodoxe Gemeinde in Leipzig sein.

Weniger bekannt aber scheint, dass die Orthodoxe Gemeinde in Leipzig schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts ihr religiöses und kirchliches Leben durchführte. Zu dieser Zeit wurde die erste Orthodoxe Hauskirche und Erzpriesterstelle gegründet. Die Kirchengemeinde setzte sich zum größten Teil aus russischen und griechischen Gläubigen zusammen. Erst im Jahre 1913 kam es in Leipzig zur Vollendung des orthodoxen Kirchenbaus: der Russisch-Orthodoxen Gedächtniskirche des hl. Alexij zu Leipzig.

Das Ziel dieses Artikels ist die Erforschung des Schicksals der russisch orthodoxen Gemeinde der Gedächtniskirche des hl. Alexej zu Leipzig und seinen seltenen Zeugnissen der Orthodoxie in Leipzig, sowie seine Bedeutung für die deutschen – russischen frühen Religionsbeziehungen.

1. Anfang der Geschichte der orthodoxen Gemeinde in Leipzig, Mitte des 18. Jahrhunderts

Bezeichnend für die Weltoffenheit Leipzigs ist es, dass sich in der Stadt, der im 18. Jahrhundert für Deutschland höchst seltener Fall einer orthodoxen Kirche lokalisieren lässt. Orthodoxe Gottesdienste fanden in Leipzig aber schon wesentlich früher statt. Es gibt deutliche Beweise, dass in Leipzig in der Mitte des 18. Jahrhunderts für orthodoxe Menschen, u.a. für russische Kaufleute und Studenten, Orthodoxe Gottesdienste zelebriert wurden, dieses sogar in einer speziell eingerichteten orthodoxen Hauskirche, mit einem orthodoxen Priester. Ein anderer Grund für die Entstehung der russischen Gemeinde in Leipzig war der Handel, bei den 1.000 Russen, welche die Stadt Leipzig jährlich besuchten. Einen besonderen Anziehungspunkt für den Ost-West-Handel stellte die Leipziger Messe dar. Zusammen mit anderen christlichen Händlern aus der Wlachei, Armenien und der Türkei sollen es von 1765 bis 1818 insgesamt 5725 Personen gewesen sein.

Die Russen

Im Jahr 1744 reichte ein Bischof “griechischen Glaubens” Feoklit dem Hl. Synod der Russischen Orthodoxen Kirche ein Gesuch ein, in Leipzig eine orthodoxe Kirche aus russischen Mitteln zu errichten, und dass junge russische Priester und Diakone nach Leipzig geschickt werden sollten. (1) Man berichtet zusätzlich von den russischen Adligen, die 1740 hier studierten, und einen Priester, der in einer auf ihre Kosten eingerichteten Hauskirche für sie und andere Orthodoxe Gottesdienste zelebrierte. Das “Griechisches Bethaus” gab es im seit etwa 1580 existierenden “Freundschen Hof”, in der Katharinenstraße 4, unweit vom Markt Leipzig. In jeder Messe wurde hier eine besondere Konzentration von Fremden aus dem Osten und Südosten Europas gesammelt, so dass das Haus etwa seit 1700 von den Leipzigern “Griechisches Bethaus” genannt wurde, was auf das Vorhandensein eines orthodoxen Andacht- und Kirchenraumes hinweist. In den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts wird dann der ganze zweite Stock des Hauses in eine größere orthodoxe Kapelle umgestaltet, die 1769 noch einmal umgebaut und dem Hl. Georg geweiht wird. In dieser Kapelle gab es, wie Gurlitt noch 1895 festhält, einen reichen Ikonostas mit russischer Malerei, ein slawisches Evangeliar von 1737, das in Petersburg in roten Samt eingebunden worden war und andere Kunst- und Kultgegenstände. (2) Da es in Leipzig zwei starke orthodoxe Gruppen gab, welche aus Griechen und aus Russen bestanden, unterhielten sie zusammen mit anderen die oben erwähnte Kapelle und führten hier zusammen ihre Gottesdienste durch. Über das weitere Schicksal dieser orthodoxen Hauskirche ist bisher nicht sehr viel bekannt. Vermutlich hat die orthodoxe Kapelle in der Katharinenstraße Leipzigs bis zur Errichtung der Russischen Gedächtniskirche des Hl. Alexij im Jahre 1913 den in die Messestadt kommenden Russen, Griechen und anderen Orthodoxen als Gottesdienst- und Andachtsstätte gedient. (3)

Katharinenstraße

2. “Paulus, Prediger und Geistlicher der allhier in Leipzig studierenden russischen Herren”

Über einen von den Priestern, welche an dieser Kirche in Leipzig gewirkt haben, sind einige Fakten bekannt. Die auch in Russland bekannte Existenz der orthodoxen Kirche war nämlich einer unter anderen Gründen, warum die Wahl des Studienortes für russischen Studenten ausgerechnet auf Leipzig fiel. Die russische Zarin Katharina II. vermerkte in ihrer Instruktion ausdrücklich, dass zu den Pflichten der Studenten im Ausland der regelmäßige Kirchbesuch in der “dortigen orientalischen Kirche” gehöre. (2)

Die Aufsicht in dieser Frage war Vater Pavel übertragen worden, der als Priester und Beichtvater die Studenten nach Leipzig begleitete. Einer der russischen Studenten dieser Zeit, Alexander Radischev, bezeichnet den Geistlichen in seinen Erinnerungen als “halbgebildet”, verweist aber auch auf dessen klassischen Sprachkenntnissen. Für ihn und die anderen jungen russischen Studenten hat der Priester anfangs wohl keine besondere Rolle gespielt, ihr Interesse gehörte vielen Dingen, aber nicht religiösen Fragen, weshalb Pavel sie auch als “bogootstupniki” (gottlose) bezeichnete. (4) Radischev gedenkt nirgendwo der Kirchweihe von 1769, die doch zweifelsohne ein wichtiges Fest auch für die kleine russische Studentenkolonie gewesen sein muss. Da aber die Neugestaltung der Kirche mit einem russischen Ikonostas gerade in die Studienjahre Radischev und seinen russischen Freunden fällt, so muss zumindest die Frage erlaubt sein, ob hier nicht Vater Pavel als Initiator, Organisator oder gar aktiv Beteiligter zu vermuten ist. Bekannt wurde der Priester in Leipzig jedenfalls noch in anderer Beziehung: Offenbar hat er Deutschen Russischunterricht erteilt, denn der Drucker und Verleger Breitkopf schreibt über ihn: “Der bey ihnen (den russischen Studenten) befindliche russische Geistliche machte die Russische Sprache in Leipzig mehr bekannt, als sie vorher gewesen war.” (5) Womöglich unterrichtete Vater Pavel selbst im Hause Breitkopf. Schließlich wissen wir aus anderen zusammenbanden, dass der bei Breitkopf in der Lehre stehende russische Setzer Subotin sich von Vater Pavel Geld geborgt hatte. Dieses kleine Detail zeigt uns, dass der Priester auch nicht nur zu Russen seiner Studentengruppe Kontakt hatte, sondern wahrscheinlich als Seelsorger für alle tätig war. (6) Überhaupt galt Vater Pavel in Leipzig als Ehrenmann, denn gerade ihm werden die Untersuchung der Wirtschaftsführung des Hofmeisters der russischen Studentengruppe und die Regulierung dessen beträchtliche Schulden überragen. In einem 1771 in Leipzig veröffentlichten “Avertissement”, teilt er den Gläubigen schließlich lakonisch mit, dass das Kaiserliche Kabinett die von dem besagten Bokum gemachten Schulden nicht bezahlen werde. (7) Vater Pavel taucht auch im Leipziger “Adress- Post- und Reise – Kalender” auf, nachdem 1768-1771 nur die “allhier studierenden Herren Russen” und ihr Hofmeister Bokum verzeichnet wurden. In der Ausgabe von 1772 heißt es unter “Von noch einigen charakterisierten Personen, die sich allhier aufhalten, ohne Rangordnung: …Paulus, Prediger und Geistlicher der allhier studierenden Russischen Herren“ in der Haynstraße, in Rabenhorsts Haus. (8) Diese Angabe findet sich auch in den Jahrgängen bis 1775 mit der gleichen Adresse, nur dass das Haus den Besitzer gewechselt hatte. (9)

Der Priester wohnte also zuerst mit den ihm anbefohlenen Studenten zusammen, blieb aber offenbar in der Hainstraße auch nachdem die ganze Studentengruppe umgezogen war. Auch Bokum hatte bis 1770 mit den Studenten zusammen gewohnt, war nach dem Streit jedoch allein ins vornehme Hohenthalsche Haus am Markt gezogen. Vater Pavel blieb in Leipzig mindestens bis 1775, möglicherweise bis 1776, also fast ein Jahrzehnt, in der er in der sächsischen Messestadt wirkte, bis zu seiner Rückkehr ins Zarenreich. Denn dass Pavel in die Heimat zurückfuhr, scheint sicher zu sein, seinen etwaigen Tod in Leipzig hätte man nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem der lokalen Blätter vermerkt, da er als “Standesperson” von besonderem Interesse galt.

In seine Leipziger Tätigkeit fielen natürlich auch traurige Ereignisse und damit zusammenhängende priesterliche Pflichten. So kennen wir allein aus den Studienjahren Radischev vier Todesfälle russischer Studenten: 1769 Iwan S. Demetrovisch, 1770 Nikolaj P. Chlopov, A. Nezvickij, F. Uschakov. Alle wurden in Leipzig begraben, natürlich nach orthodoxem Ritus, so dass Vater Pavel hier jedenfalls tätig geworden sein dürfte. Den zeitgenössischen Berichterstattern die offenkundig diese Trauerfeier nicht besondere Aufmerksamkeit wert schien. Nur bei der großen Aufsehen erregender, prachtvoller Bestattung des russischen Fürsten Nezvickij wird es im “Leipziger Allerlei der neuesten und merkwürdigsten Begebenheiten dieser Zeiten” berichtet. Die “Vornehme Leiche”, heißt es dort, wurde drei Tage lang “auf einem Paradebette ausgestellt”. (10) “Leipzigisches Jahrbuch” von J. Riemer vollendet die Meldung im “Allerlei”: “Den 27ten, Abends um 8 Uhr wurde derselbe solenne begraben, erstl. kam eine Kutsche, worinnen die Griechischen Popen sich befanden, dann folgte der Leichwagen mit 6 verkapten Pferden bespannt, welche 4 schwarz bekleidete Reitknechte in langen Hölzern führten, nach dem Leichenwagen folgten 13 dergleichen, welche sowohl von Sr. Magnifc. dem Rectore Magnificio, dem regierenden Herrn Bürgermeister, Herrn Ordinar, den sämtl. alhier studierenden Herrn Russischen Cavaliers und den Herrn Anführer, den Herrn Major von Bockum und anderen hohen Honoratiori bey hiesiger hochlöbl. Academie und griechischen Kaufleute besetzt waren. Dieser solenne Zug wurde mit einer Menge Fackeln beleuchtet, und auf dem alten Gottes Acker in Kreuchhauh Schwibbogen beygesetzt worden.” (11) Offenbar wurde die Beerdigung nicht allein von Vater Pavel religiös begleitet, sondern es gab zu jener Zeit mehrere orthodoxe Geistliche in Leipzig. Ob es sich dabei tatsächlich um Griechen handelte, oder ob hier einfach die damals übliche Gleichstellung der Worte “orthodox” und “griechisch” vorliegt, kann nur vermutet werden, womöglich wird auch Vater Pavel, höchst wahrscheinlich, unter die “griechischen Popen” eingereiht. Weiter ist als sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass es sich bei den “Griechischen Kaufleuten” um orthodoxe, teilweise russische Kaufleute handelt. Die Grabstelle für die Beerdigung war der “Schwibbogen” (Mauerbogen) Nr. 108 auf dem alten Johannisfriedhof, sie wurde 1717 von Franz Kreuchauf erworben. Seit 1751 gehörte das Familiengrab dem Sohn Daniel Friedrich Kreuchauf. In seinem Haus in der Johannisgasse – 8 (später Beettelgasse) wohnte die ganze Gruppe der russischen Studenten (zusammen mit Bokum und ganz sicher auch mit Vater Pavel) von April 1767 bis Herbst 1769. Auffällig ist, dass 1770, als die jungen Russen längst nicht mehr im Kreuchaufischen Haus wohnten, dennoch die Beerdigung des Fürsten Nezwickij im Schwibbogen der Familie Kreuchauf vorgenommen wurde.

Das Jahr 1813. Grabkapellen von den Russischen Generälen Kudaschew und Schewitsch auf dem alten Johannis – Friedhof zu Leipzig. Auf dem selben Friedhof wurden auch andere russisch – orthodoxe Angehörige beigesetzt.

Die Vermutung, dass bei Nezvickijs Beerdigung neben Vater Pavel auch weitere russische orthodoxe Geistliche mitwirkten, stützt noch eine andere Tatsache. Wir wissen nämlich, dass noch mehr Russen in Begleitung eines Priesters nach Leipzig kamen. Im Jahre 1766 war ein “russischer Geistlicher mit vornehmenden Offiziers Sohn” (offenbar A.K. Krzhizhanovskij), in Leipzig eingetroffen. (12) Der genannte Priester trat nebenher als Deutschlehrer für Russen in Erscheinung. So lässt sich vermuten, dass auch manch anderer Besucher Leipzigs sich aus dem fernen Zarenreich “eigenen” Priester mitbrachte, dass zumindest einige der Großkaufleute, die mit beträchtlichem Tross zu den Leipziger Messen kamen, auf einen Beichtvater für die lange Hin- und Rückreise nicht verzichten wollten, auch könnten weitere Studenten seelsorgerisch betreut worden sein.

Einen orthodoxen Priester muss es in Leipzig auch ab Februar 1784 gegeben haben, denn damals trat der schon im Herbst 1783 als russischer Konsul in Leipzig ernannte Kollegienassessor Feodor Sapozhnikov sein Amt an und verstarb im Jahre 1789 in Leipzig. (13) Es gibt dafür bisher nirgends Belege, doch kann es vermutet werden, dass Konsul Saposchnikov und sein Nachfolger einen orthodoxen Seelsorger hatten.

Als die reichen Russen Leipzig verließen, schenkten sie das Kircheninventar den damals dort ansässigen Griechen. Im Jahr 1847 scheint es wieder, dass die Russen an den Gottesdiensten zusammen mit den Griechen in dem Kirchsaal des hl. Georg teilgenommen haben.

3. Eugenio Bulgaris (1735 – 1775)

Schließlich noch ein Leipziger “Orthodoxie – Bezug”. Im Oktober 1770 teilt die LZ ihren Lesern mit, dass die russische Zarin Katharina II. dem “allhier befindlichen Griechischen Professor, Eugenio Bulgaris, für die Übersetzung der von Ihrer Majestät Selbst geschriebener Instruktion zu dem neuen Gesetzbuche, in die griechische Sprache, ein gnädigstes Geschenk von 3000 Rubeln zu machen geruhet.” (14) Dies war eine beträchtliche Summe. Der (offenbar über gute Sprachkenntnisse verfügende) damit geehrte Professor hatte im gleichen Jahr auch für den russischen Grafen A.G. Orlov in Leipzig einen griechischen Aufsatz ins Russische übersetzen sollen. Offenbar hat auch er in Leipzig Russischunterricht erteilt. Bulgaris geht schließlich nach Petersburg, wurde Privatsekretär der Zarin und erhielt 1775 sogar die Bischofsweihe. Er war also schon in der Leipziger Zeit ein Geistlicher und muss die Mönchsgelübde abgelegt gehabt haben. In Russland taucht er auch unter den Herausgebern der Zeitschrift “Russischer Merkur” auf, sein Vorname wird dabei mit Thaddäus angegeben. (15)

4. Errichtung der Russischen Orthodoxen Gedächtniskirche zu Leipzig

Aufgrund des Obenerwähnten ist es nachweisbar, dass Orthodoxe Gläubige in Leipzig seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ihr religiöses und kirchliches Leben durchführten, in ihrer eigenen Hauskirche und eigenen Erzpriestern. Die Kirchengemeinde setzte sich zum größten Teil aus russischen und griechischen Gläubigen zusammen.

Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es Konkrete Hinweise auf eine russische Gemeinde in Leipzig. Die Interessen der russischen und der griechischen Gläubigen gingen auseinander. Die orthodoxen Russen, zusammen mit Bulgaren, Serben und Makedoner, wollten ihr eigenes kirchliches Leben, getrennt von den Griechen, durchführen. Dafür wurde neue Gebetsstelle bzw. eine Kirche in Leipzig gesucht.

Die Gründung der russischen Gemeinde zu Leipzig steht in Verbindung mit einem russischen Priester, der 1907 aus Dresden geholt worden sein soll. Wie es aus dem Archiv der Russischen Kirche zu Leipzig bekannt ist, die orthodoxen Russen, Geschäftsleute, Studenten und Mitarbeiter des Russischen Konsulats in Leipzig, haben sich zusammengeschlossen, für sich ein richtiges Kirchengebäude zu bekommen. Sie bekamen eine offizielle Unterstützung von dem russischen Diplomaten auf dem Sächsischen Hof, Baron von Wolf. Bemühung und Verhandlungen in diese Richtung des Barons bekamen die Befürwortung im Jahre 1908. Bei der sächsischen Regierung wurde zu dieser Zeit ein Antrag auf Errichtung einer Kapelle gestellt. Die Genehmigung wurde erteilt, und im Frühjahr 1908, hat der erste Ostergottesdienst stattgefunden.

Gleichzeitig, im Jahre 1911, kam in St. Petersburg zu Gedanke auf, für die in der Völkerschlacht gefallenen 22.000 Soldaten eine Gedächtniskirche zu errichten und sie zur 100-jährigen Wiederkehr dieses Tages zu einweihen. Erst im 1913 kam es in Leipzig zur Vollendung eines russischen Kirchenbaus: der Russisch-Orthodoxen Gedächtniskirche des hl. Alexij zu Leipzig. Die Idee von einer Denkmalerrichtung zur Völkerschlacht hat dann zum Kirchenbau der Gemeinde verholfen. Aus diesem Anlass wurde nicht nur eine Kapelle, sondern im Jahre 1912 – 1913 eine Sankt Alexej Gedächtniskirche, mit Gemeindesaal, einer Wohnung für den Erzpriester und allen Anderen notwendigen Räumen, gebaut. In der russischen Duma wurde beschlossen, dass der Erzpriester, der Diakon und die Unterhaltung der Kirche aus russischen Mitteln bestritten werden.

Am 28. Dezember 1912 wurde die Grundsteinslegung der Russischen Gedächtniskirche zu Leipzig feierlich begangen. Im Gottesdienst, der anlässlich der Grundsteinlegung der Gedächtniskirche durchgeführt wurde, nahmen Oberhäupter der Evangelischen und Katholischen Gemeinden teil. Zusammen mit dem russischen Priester haben sie einen großen weißen Grundstein mit den Worten: “Im Namen des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes…” gesegnet. Der Grundstein wurde zu diesem Anlass aus St. Petersburg geliefert. Somit konnte religiöses und gesellschaftliches Leben der Stadt Leipzig eine hervorragende Ergänzung bekommen.

Nachwort

Viele historische Dokumente, welche das Leben der Leipziger Gemeinde des 18. und des 19. Jahrhunderts angeht, sind nicht erhalten. Aber in der Russischen Gedächtniskirche zu Leipzig befinden sich bis heute gottesdienstliche Bücher in griechischer, altrussischer und rumänischer Sprachen. Manche von ihnen haben die Inschrift “Gemeinde des heiligen Georg in Leipzig”. Dazu, als Museumsexponat ist im Oberteil der Gedächtniskirche das alte russische Priestergewand ausgestellt (Roter Samt mit Silberstickerei). Dieses Gewand wurde schätzungsweise in der Mitte des 19. Jahrhunderts gefertigt. Schließlich, in der Gedächtniskirche befindet sich bis heute die alte, zum Teil zerstörte Ikonenwand, welche sicherlich aus der oben genannten Hauskapelle, aus der Mitte 18. Jahrhunderts, stammt. Obwohl manche der Ikonen vom Zahn der Zeit stark beschädigt worden sind, die vier Hauptikonen von Christus, Gottesmutter und vier Evangelisten befinden sich zurzeit im Altarraum der oberen Kirche. Diese Ikonenwand stammt sicherlich gerade aus jener Epoche, Mitte des 18. Jahrhunderts, und ist mit all anderen Kirchengerät der ersten orthodoxen Kapelle in Leipzig hinterblieben.

Literaturnachweis

1. Smolitsch, Igor, Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche, Linden, S. 532.
2. Gurlit, C., “Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königlichen Sachsen 17/18, Stadt Leipzig, Dresden 1895.
3. Gerhard Feige, ” Die Orthodoxen Kirchen in Deutschland”, in “Orthodoxes Forum “, 1996, S. 207-209.
4. Gaede, Käthe, “Geschichte der Russischen Kirche in Deutschland”, Köln, 1987, S. 37-38.
5. Hillert, Siegfried, “Leipzig und Rußland im 18. Jahrhundert”, in “Tausend Jahre Taufe Rußlands”, Halle, 1988, S.635-652.
6. Lehmann, U., Der Verlag Breitkopf und die Petersburger Akademie in den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts, in “Zeitschrift für Slavistik”, 1, 1963, Seite 25ff.
7. “Des Predigers der zu Leipzig zu studierenden Edelleute, Pauli, Avertisment wegen des Verhaltens denselben vor Gesetz gewesenen Hofmeisters Bokum”, Leipzig 1771 (Universitäts- und Landesbibliothek Halle, Po Ye 6769, [Ye 7093]), gleiches Dokument in russ.: “Sbornik russkogo istoritscheskogo obtschestwa”, Bd. 10, Petersburg, 1872, Seite 128.
8. “Leipziger Adreß – Post – und Reise – Calender auf das Jahr Christi …”, Leipzig bey G.A.F., Löper.
9. Das Haus war inzwischen an D. Holderieder verkauft worden. Hilert, S. 648.
10. “Das Leipziger allerlei, der neuesten und merkwürdigsten Begebenheiten dieser Zeiten, Leipzig 1770, 19, Stück 301 – 302.
11. Riemer, J., Leipzigisches Jahrbuch (Continuatio Annalium Lipsiensium Vogelii), Bd. IV, 1770; 1969, (handschriftlich im Stadtarchiv Leipzig).
12. Lehmann, U., Der Verlag Breitkopf und die Petersburger, Akademie in den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts, in “Zeitschrift für Slavistik”, 1, 1963, Seite 31.
13. Hillert, S. und Hoffmann, P., “Das russische Konsulat in Leipzig im 18. Jahrhundert”, in “Jahrbuch der Geschichte der sozialistischen Länder Europas, 28”, Berlin, 1984, S.106f.
14. “Leipziger Zeitung”, 212, Stück 29. Oktober 1770.
15. Hillert, Siegfried, “Leipzig und Rußland im 18. Jahrhundert”, in “Tausend Jahre Taufe Rußlands”, Halle, 1988, S.652.

Die Folgen zweier Weltkriege

In der ganzen Zeit von 1914 bis in den Zweiten Weltkrieg wurde nur ein einziges orthodoxes Gotteshaus neu errichtet, und zwar die russische Kathedrale zu Berlin, die im November 1928 zunächst in der dritten Etage eines von der dortigen Gemeinde erworbenen Mietshauses eingerichtet worden war. Doch schon ein Jahr später wurde das Haus zwangsversteigert und die Gemeinde musste die benötigten Räumlichkeiten, auch einen Gottesdienstraum, anmieten

Archimandrit Tichon (Ljaschenko), der seit 1921 die Berliner Gemeinde leitete und 1924 von Metropolit Jewlogi (Georgijewski) zum Vikarbischof ordiniert worden war, war im November 1926 von der Synode der russischen Auslandsbischöfe zum Bischof von Berlin und Deutschland ernannt worden. Allerdings unterstellten sich ihm nicht alle in Deutschland befindlichen russischen Gemeinden, denn der Streit in der russischen Emigration begann, sich auch auf das orthodoxe Leben in Deutschland auszuwirken.

Der Hintergrund war, dass es in dieser Zeit zum Bruch zwischen dem Vikarbischof Tichon und seinem in Paris residierenden Metropoliten Jewlogi kam, dem Patriarch Tichon und der Petrograder Metropolit Wenjamin die Verwaltung aller russischen Kirchen in Westeuropa übertragen hatten. Zu dieser Zeit handelte Metropolit Jewlogi noch in Übereinstimmung sowohl mit der Heimatkirche des Moskauer Patriarchates als auch mit der Synode der Auslandsbischöfe. Als sich nun in Russland der antireligiöse Terror der kommunistischen Regierung steigerte und immer mehr Geistliche in Bedrängnis gerieten, vor allem aber Patriarch Tichon Loyalitätserklärungen gegenüber dem Sowjetstaat abgeben musste, argumentierte die inzwischen unter Leitung von Metropolit Antoni (Chrapowizki) gebildete Synode der Auslandsbischöfe, die auf Einladung der Serbischen Orthodoxen Kirche in Sremski Karlovci (Karlowatz in Syrmien) in Nord-Serbien eine Heimat gefunden hatte, dass eine reguläre kirchliche Gewalt in Russland nicht existiere, die so frei handeln könne, dass man ihr Gehorsam schulde. Ihrerseits legten sich die Auslandsbischöfe in politischen Fragen eindeutig auf die monarchistische Linie fest und forderten auf einem Konzil in Sremski Karlovci 1922 die Wiederherstellung des russischen Zarentums unter dem Großfürsten Kirill Wladimirowitsch als Zar Kirill 1. Daraufhin erklärte Patriarch Tichon am 18. März (1. April) 1922:

“1. Ich erkläre das Konzil des Auslandsklerus und der Laien in Karlovci für bar kanonischer Bedeutung; seine Botschaft über die Wiederherstellung der Dynastie Romanow und sein Sendschreiben an die Konferenz zu Genua drücken nicht die offizielle Stimme der Russischen Kirche aus.

2. Angesichts dessen, dass sich die russische Kirchenleitung im Ausland auf das Gebiet der politischen Aktionen begibt, … halte ich dafür, die Oberste Kirchenleitung im Ausland aufzulösen….”.

Während Metropolit Jewlogi dem Patriarchen weiter die Treue hielt und ihm Gehorsam leistete, erklärte die Synode in Karlovci die Auflösungsverfügung Patriarch Tichons für ungültig, da sie von den sowjetischen Machthabern erzwungen worden sei, und begann mit der Organisation einer eigenständigen “Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland”. Diese Entwicklung führte 1926 auch zu dem erwähnten Bruch in der russischen Emigration in Deutschland und zur Spaltung der Gemeinden.

Nachdem der Nationalsozialismus in Deutschland 1933 zur herrschenden politischen Kraft geworden war und sein diktatorisches Regime errichtet hatte, begann auch die “Gleichschaltung” der orthodoxen Gemeinden, nämlich durch die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die “Russisch-Orthodoxe Diözese des Orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland”, wie sich das Bistum in der Synode der Auslandsbischöfe nannte, durch das Preußische Staatsministerium am 14. März 1936 und wenig später, am 25. Februar 1938, durch ein vom “Führer und Reichskanzler” Adolf Hitler unterzeichnetes “Gesetz über den Grundbesitz der russisch-orthodoxen Kirche”, wurde ermöglicht, den gesamten alten russischen Kirchenbesitz, vor allem die Gottesdiensträume, der Exilsynode zu übergeben. Dies zwang die bislang Metropolit Jewlogi unterstehenden Geistlichen, entweder zu Bischof Tichon überzuwechseln oder ihre Pfarreien aufzugeben beziehungsweise obdachlos zu werden.

Einen weiteren deutlich sichtbaren Ausdruck fand die Unterstützung der Synode der russischen Auslandsbischöfe und ihres Vertreters in Deutschland, Bischof Tichon, durch die nationalsozialistische Deutsche Reichsregierung schon im Jahre 1935. Der Kathedralgemeinde wurde mit Unterstützung des Reichskirchenministeriums und eines Versicherungskonzerns ermöglicht, die heute noch existierende Christi-Auferstehungskathedrale in Berlin-Wilmersdorf zu erbauen, die 1938 geweiht wurde.

Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges kam es zu einer Reihe kurzzeitiger Veränderungen, die die Orthodoxe Kirche in Deutschland betrafen. So wurde beispielsweise im Zuge des deutschen Überfalls auf Polen und dann auf die Sowjetunion der Jurisdiktionsbereich des Vorstehers der Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland zeitweise weit nach Osten erweitert. Denn die deutschen Besatzungsbehörden vertrauten lieber ihm die Leitung der dortigen Gemeinden und Kirchen an als den einheimischen Bischöfen. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, dass der geborene Sachse Serafim (Lade: 1883 bis 1950) ab 1931 zuerst als Vikar und ab 1938 als Diözesanbischof von Berlin und Deutschland der russischen Orthodoxie in Deutschland vorstand. 1942 wurde Serafim zum Metropoliten von Mitteleuropa erhoben und von deutscher Seite mit weiteren Kompetenzen in den besetzten Gebieten Westrusslands ausgestattet. Dies trug ihm nach dem Krieg den Vorwurf ein, mit den Nationalsozialisten kollaboriert zu haben. Auch in Deutschland selbst wurde die Unterstellung aller orthodoxen Gemeinden unter Metropolit Serafim mit staatlicher Gewalt betrieben.

Diese kirchenpolitischen Veränderungen hatten allerdings nur so lange Bestand, wie die deutsche Herrschaft im Osten und das nationalsozialistische Regime währten: 1945 musste Metropolit Serafim nach München fliehen, wo er 1950 unter nie geklärten Umständen verstarb.

Europäische Gemeinden der Russisch-Orthodoxen Kirche – ein Überblick

In Europa tauchten russische Kirchen im 17. Jahrhundert auf, und seitdem ist ihre Zahl mit zunehmenden diplomatischen, Handels- und Kulturellen Beziehungen Russlands zu den Ländern Europas unaufhörlich gewachsen. Im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts wurde die erste russische Kirche in Konstantinopel gebaut; später entstanden in dieser Stadt und ihrer Umgebung weitere fünf russische orthodoxe Kirchen. In Finnland bis 1919 unterstand eine Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche. Nachdem Finnland ein selbständiger Staat geworden war, trat die Finnische Orthodoxe Kirche unter die Jurisdiktion des Patriarchats von Konstantinopel. Im Jahre 1957 hat die Russische Orthodoxe Kirche diese Jurisdiktion anerkannt.

Somit hat die Russische Orthodoxe Kirche gegenwärtig im Ausland eine Anzahl von Gemeinden, die teilweise mit der Zeit in die Jurisdiktion anderer orthodoxen Landeskirchen übergingen, teilweise eine selbständige, Verwaltung bekamen. Die meisten gedeihen unter der geistigen Führung der Russischen Orthodoxen Kirche. Einige jedoch stehen noch immer außerhalb der Mutterkirche.

* * *

Im Jahre 1920 entstand für die kanonische Gestaltung des Lebens der Russischen Kirche im Ausland ein Hindernis: Die so genannte “Oberste Russische Kirchenverwaltung im Ausland”. Eine Gruppe emigrierter Bischöfe, die der Russischen Orthodoxen Kirche und dem russischen Volk feindselig gegenüberstand, hatte sie eigenmächtig gebildet. Die Russische Orthodoxe Kirche in Person des Hochheiligen Patriarchen Tichon verurteilte das politische Treiben der “Verwaltung”, aber diese fügte sich dem Beschluss der obersten Kirchenbehörde nicht und führte eine Spaltung herbei, die nach der Stadt Karlowitz (Sremski Karlovic in Jugoslawien) benannt wurde; Diese Stadt war der Schauplatz des “Konzils”, das der von der Mutterkirche abgefallene Teil der russischen Geistlichkeit von Oktober bis Dezember 1921 abhielt.

Obwohl es der eigenmächtigen Kirchenverwaltung gelang, die kanonische Gestaltung eines Teils der russischen Kirchengemeinden im Ausland zu desorganisieren, blieben dennoch viele von ihnen der Mutter-Kirche treu. Dank ihren Bemühungen um die Vereinigung kehrten nach dem Jahre 1945 viele russische orthodoxe Geistliche und Gläubige in den Schoß der Russischen Orthodoxen Kirche zurück. Großes Gewicht kam hierbei den Appellen des Hochheiligen Patriarchen Alexij I. und weitere Appelle.

Einweihung der Kirche

Die Russische Gedächtniskirche des Heiligen Aleksij wurde am 17. – 18. Oktober 1913 zum ehrenden Gedenken an die Heldentaten von 127.000 russischen und alliierten Soldaten und an 22.000 in der Völkerschlacht bei Leipzig gefallenen Söhnen des russischen Vaterlandes geweiht. So steht es auf den russischen und deutschen Memorialtafeln am Eingang der Kirche.

Die rechtzeitige Eröffnung der Kirche ist ein großes Verdienst der deutschen Bürger und des Staates. Für den Bau der Kirche wurde nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland gespendet. Der Entwurf für Kirchenbau stammt von dem Petersburger Architekten Wladimir A. Pokrowskij, die Ausführung und Bauleitung lagen in den Händen der Leipziger Architekten Richard Tschammer und Georg Weidenbach. Während die Baukosten in Höhe von einer Million Mark von russischer Seite aufgebracht wurden, hatte der Rat der Stadt Leipzig das Baugelände unentgeltlich zur Verfügung gestellt. An dieser Stelle hatte auch ein Teil der Völkerschlacht stattgefunden.

Die 2 Weltkriege

Die Aufbauarbeit Probst von Maltzews, der sogar den Rektorstuhl der St. Petersburger Akademie und den Bischofssitz von Nordamerika ausgeschlagen hatte, um in Deutschland bleiben zu können, wie auch anderer russischer Geistlicher wurde durch die Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland vom 1. August 1914 abrupt unterbrochen. Während der Kriegsjahre kam das russische Gemeindeleben in Deutschland dann allenthalben zum Erliegen.

Demgegenüber stieg nach der Oktoberrevolution in Russland und der Machtergreifung der Bolschewisten beziehungsweise durch den nachfolgenden Bürgerkrieg die Zahl der Emigranten aus dem ehemaligen Russischen Reich in kürzester Zeit rapide an. So verzeichnete der Völkerbund 1923 rund 600 000 Emigranten aus dem ehemaligen Russischen Reich in Deutschland. Diese lebten allerdings meist an Orten oder in Gegenden, die mit orthodoxen Kirchen unterversorgt waren: Nicht die feudalen Kurorte der Vorkriegszeit vermochten die verarmten Emigranten zu beherbergen, sondern die Elendsviertel der Großstädte. Infolge der instabilen Wirtschaftslage verringerte sich zwar die Zahl der russischen Flüchtlinge im Deutschen Reich bald schon wieder, und bereits Mitte der Zwanziger Jahre zogen viele der russischen Emigranten weiter nach Frankreich, in die Tschechoslowakei, in die USA oder nach Südamerika. Eine nicht unerhebliche Anzahl russischer Flüchtlinge blieb jedoch, so dass durchaus an etlichen Orten ein Bedarf an der Gründung neuer orthodoxer Gemeinden bestand. Die meisten Emigranten waren aber viel zu arm, um sich neue eigene Kirchenbauten leisten oder auch nur den Unterhalt von angemieteten Räumen in repräsentativen Gebäuden und die Bezahlung der Geistlichen gewährleisten zu können. So existierten vor dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen noch die gleichen Kirchenbauten wie vor dem Ersten. Lediglich in München, Augsburg, Breslau, Hannover-Linden und Danzig wurden russische orthodoxe Gemeinden gegründet, die jedoch über keine eigenen Kirchengebäude verfügten.

Erste russisch-orthodoxe Kirchen und Gemeinden in Europa (12. – 17. Jahrhundert)

Seit alters her pilgerten russische Wallfahrer ins Heilige Land, zur Berge Athos (Griechenland) und zu anderen berühmten Heiligtümern der orthodoxen Welt. Manche dieser Wallfahrer legten dort das Mönchsgelübde ab und gründeten Klöster und Kirchen. In der Lebensgeschichte der Russischen Heiligen Euphrosinia von Polozk ist erwähnt, dass sie, als sie in den siebziger Jahren des zwölften Jahrhunderts in Jerusalem weilte, “bei der Heiligen Mutter Gottes im russischen Kloster Unterkunft fand”. Was aus diesem Kloster geworden ist, ist unbekannt. In den Akten des Heiligen Berges Athos aus der Mitte des 12. Jahrhunderts findet sich ein Zeugnis dafür, dass auf dem Athos ein russisches Kloster der Mutter Gottes von Ksylurgu bestanden hat. Im Jahre 1169 erhielten russische Mönche auf dem Athos das Kloster des Heiligen Märtyrers Pantaleimon, zu dem später das kleine Kloster von Katzari hinzukam. Im Jahre 1849 wurde auf dem Athos die russische Hl.-Andreas-Einsiedelei eröffnet und aus gemeinschaftlichen Mitteln unterhalten. Anfang 20. Jahrhunderts lebten in den russischen Klöstern des Heiligen Berges rund 4000 Mönche. Doch in den Jahren des ersten Weltkrieges musste ein Teil der Mönche infolge der großen materiellen Not der Klöster den Athos ver1assen und heimkehren.

Entstehung der Gedächtniskirche

Die Gedächtniskirche wurde im Jahre 1913 zum hundertjährigen Jubiläum Völkerschlacht bei Leipzig erbaut, in der auch russische Truppen und ihre europäische Verbundenen gegen Truppen von Napoleon gekämpft haben. Nachdem Schlacht bei Borodino (Rußland, 1912) war dies ein neuer vernichtende Kampf für Napoleon, der zum ersten Mal außerhalb der russischen Grenzen stattgefunden hat. Im 1813 Österreich, Preußen und Schweden schlossen sich für die Befreiung Europas an. Am 14. -19. Oktober 1813, in Völkerschlacht bei Leipzig nahmen rund eine Million Soldaten und Offizieren von beiden Seiten teil.

Besondere Tapferkeit bei Leipzig zeigte russische Truppen unter der Leitung von Zar Alexander I. In die Geschichte der Völkerschlacht bei Leipzig gingen die Namen der russischen Helden: M. Barklai de Tolli, R. Bagration, A. Ermolow, P. Newerowski, J. Schewitsch. Es ist bekannt, dass zum Sieg auch die Tapferkeit russischer Kosaken und ihres Generals Michail Platow beigebracht hat. Die Schlacht wurde mit dem Sieg von Verbundenen beendet und Napoleon musste deutschen Boden verlassen und seine Hoffnung auf die Herrschaft in ganz Europa aufgeben. Von nun an bewegten sich seine Truppen in Richtung Frankreich, wo eine endgültige Niederlage auf sie wartet. Den Kampf gegen Napoleon, der mit dem Sieg bei Leipzig beendet war, nannte man “Befreiungskrieg”. Er stellte Heldenmut und Patriotismus des deutschen Volkes zur Schau, und vereinte das Volk. Es ist kennzeichnend, dass in diesem Befreiungskrieg gegen Unterjochung, streckte Russland ihre Hand Deutschland in Freundschaft entgegen. Deswegen ist das 185-jährige Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig – ein Ruhmesblatt sowohl für deutsche als auch für russische Geschichte. Das war die Geschichte der Bruderschaft und tiefer Freundschaft.

Die Tatsache, dass vor 85 Jahren die Gedächtniskirche erfolgreich und rechtzeitig erbaut worden ist – dies ist ein großer Verdienst deutscher Mächte und einfacher Leute. Es wird erzählt, dass die Spenden für die Einrichtung nicht nur in Russland gesammelt wurden, sondern auch unter der deutschen Bevölkerung fanden sich viele Wohltäter, die mit allen möglichen Mitteln zu dieser Sache beigetragen haben. Rat der Stadt Leipzig stellte das Grundstück für den Kirchenbau im Stadtzentrum, wo die Völkerschlacht einst stattgefunden hat, zur Verfügung.

Die Grundsteinlegung in dem östlichen Teil der Gedächtniskirche wurde als ein Ereignis aufgenommen, das sowohl für das deutsche als auch für das russische Volk sehr wichtig war. Noch hatte es eine große Bedeutung, wie wir später sehen werden, im religiösen Leben der Stadt Leipzig. Zur feierlichen Gottesdienst (28 Dezember 1912) kam der Militärminister des Russischen Reiches General Wladimir Suhomlinow (im Jahre 1926 starb er in Emigration in Berlin). Mit W. Suhomlinow nach Leipzig kam ziemlich ehrenamtliche und repräsentative Delegation russische Politiker und Diplomaten. Hohe Beamte von deutscher Seite würdigten mit ihrer Anwesenheit Feierlichkeiten zur Einrichtung der Gedächtniskirche. Später wurde es in vielen Zeitungen über dieses Ereignis berichtet. Die Zeitungen betonten wohlwollende und versöhnende Stimmung des russischen Militärministers. Sich auf konkrete freundliche aussagen des russischen Ministers stützend, sprachen viele von Hoffnung auf schnelle Versöhnung Russlands und Deutschlands vor der Gefahr des bevorstehende 1.Weltkrieges. Der Frieden wurde dann durch den Krieg zerstört, aber Gefühle des Verständnis und Respekt zur deutschen Nation verschwanden nicht in der Seele der russischen Leute wie der von Suhomlinow. Später, in seinen Erinnerungen wird er schreiben: “Die Anbahnung friedlicher und freundschaftlicher Beziehungen zwischen Russland und Deutschland, die sich vor meinen Augen vollzieht, ist eine der grundlegenden Vorbedingungen für die Wiederaufrichtung des russischen Volkes mit seinen gewaltigen Uhrkräften. Deutsche und Russen ergänzen sich so, wie Völker sich nur selten ergänzen… Diese natürliche Ergänzung schuf den Boden für die vom Geschichtsverlauf beider Nationen vorbestimmte Koalition …, die allein den Frieden und das europäische Gleichgewicht sichern kann.”

In Anzahl der russischen Persönlichkeiten, die damals Leipzig besucht hatten, ist es wichtig die Namen des Barons A.W. von Wolf, Diplomaten des Russischen Reiches in Dresden, sowie des Generalkonsul Russlands in Leipzig Grafen I. A. Musin-Puschkin, und Erzpriester der Russischen Kirche in Berlin A. P. Malzew zu nennen.

Der Name des Erzpriesters ist mit der Erneuerung der Russischen Kirche auf dem deutschen Boden verbunden. Er kam ende 19. Jh. nach Deutschland, um hier Gottesdienste abzuhalten. Es war die Zeit des erneuten Interesses von vielen russischen Leuten zu diesem Land sowie die Zeit, in den wissenschaftliche, politische und kulturelle Verbindungen zwischen zwei Ländern wiederhergestellt wurden. Russische Leute kamen auch zu Kur und Erholung, wohnten und arbeiteten viele Jahre in Deutschland. Selbstverständlich gewannen alte russische kirchliche Zentren Deutschlands, die hier seit dem 18. Jh. existierten, ein neues Leben. Mit der Teilnahme energischen Erzpriesters werden auch neue orthodoxe Kirchen in Deutschland gebaut. Zur Autorenschaft dieses großartigen Menschen gehört auch die neue Übersetzung von orthodoxen Texten aus Theologie und dem Gebetbuch in deutsche Sprache, die zur Verständigung des “Russischen Glaubens” von den Deutschen beiträgt.

Der russische Konsul in Leipzig Graf Musin-Puschkin, ein Verwandte eines bekanntes russischen Dichters, ist nicht weniger bekannt mit seinem eigenen Beitrag zur Gedächtniskirche. Berühmt ist er als ein unermüdlicher Schaffende für den Wohl Kirchenbaus und als freigebiger Wohltäter. Frau Musin-Puschkin, die Gattin von Konsul ergriff zusammen mit anderen russischen Frauen Initiative in Einnahmen von Mitteln und in Anfertigung von verschiedenem Schmuck und Verzierung, Läuferteppichen für die Gedächtniskirche.

Mit dem Namen des russischen Diplomaten auf dem Sächsischen Hof Barons von Wolf ist die Geschichte einer orthodoxen Gemeinde in Leipzig im Anfang 20. Jh. verbunden. Es ist bekannt, dass die ersten russischen Leute, die orthodoxen Glauben praktizierten, erschienen in der Mitte des 18. Jh. in Leipzig. Aber sie hatten keine richtigen Kirchengebäude. Bemühung und Verhandlungen in diese Richtung des Barons bekamen die Unterstützung im Jahre 1908. Später hat die Idee von Denkmalerrichtung zur Völkerschlacht zum Kirchenbau verholfen.

Somit bekam religiöses und gesellschaftliches Leben der Stadt Leipzig eine hervorragende Ergänzung. Im Gottesdienst der anlässlich der Grundsteinlegung der Gedächtniskirche durchgeführt wurde, nahmen Oberhäupter der evangelischen und Katholischen Gemeinden teil. Zusammen mit dem russischen Priester haben sie einen großen weisen Grundstein mit den Worten: “Im Namen des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes…” gesegnet. Der Grundstein wurde zu diesem Anlass aus St. Petersburg geliefert.

17. bis Anfang 20. Jahrhundert

Die erste Stätte im deutschen Sprachraum, an der regelmäßig orthodoxe Gottesdienste gefeiert worden sind, lag außerhalb des Territoriums des damaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Es war Königsberg, die Hauptstadt des Herzogtums Preußen, das heutige Kaliningrad, wo seit 1655 russische orthodoxe Gottesdienste stattfanden. Bald wurden dann auch an anderen Orten orthodoxe Kirchen eingerichtet, so 1718 in Berlin, als Zar Peter I. dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. eine Gruppe von 55 russischen Grenadieren für dessen Paradetruppe der “Langen Kerls” überließ.

Nachdem Breslau unter preußische Herrschaft gekommen war, gewährte König Friedrich II. im Jahr 1750 den dort lebenden “Kaufleuten aus der Ukraine, russischer Nation”, “dass sie ihren Gottesdienst nach den Gebräuchen und Gewohnheiten der morgenländischen Kirche in einem zu solchem Behufe daselbst zu mietenden Hause einrichten und frei und ungehindert exerzieren und mit einem Priester und anderen benötigten Kirchenbedienten versehen mögen.”

In den Beginn des 19. Jahrhunderts fällt die Entstehung der ältesten heute noch bestehenden russischen Gemeinde auf deutschem Boden. Es handelte sich dabei ursprünglich um eine Gruppe von 62 russischen Soldaten, die Zar Alexander 1. 1813 seinem Verbündeten im Kampf gegen Napoleon, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. als Grundstock eines russischen Militärchores geschenkt hatte. Für sie errichtete der preußische König 1826 eine eigene Siedlung mit Holzhäusern im russischen Stil, die Kolonie “Alexandrowka” bei Potsdam. Dort wurde auch eine Kirche zu Ehren des Heiligen Alexander von der Newa erbaut, die im September 1829 geweiht wurde.

In den nächsten Jahrzehnten wurden dann immer mehr russische orthodoxe Kirchen in Deutschland errichtet. Teilweise handelte es sich um Grabkirchen in Deutschland verstorbener orthodoxer Persönlichkeiten fürstlichen Standes, wie etwa bei der Kirche auf dem Rotenberg bei Untertürkheim in Württemberg, der 1861 erbauten “Griechischen Kapelle” auf dem Neroberg in der damaligen hessen-nassauischen Residenzstadt Wiesbaden und dem 1862 geweihten Gotteshaus in Weimar, die alle Mausoleen für in Deutschland verstorbene russische Großfürstinnen darstellen. Andere Kirchen dienten den russischen Gesandtschaften für ihre Gottesdienste, beispielsweise in Berlin in der Russischen Botschaft Unter den Linden, in Dresden (erbaut 1874) und in Stuttgart (erbaut 1895). Wieder andere wurden in Kurorten errichtet, in denen zahlreiche russische, aber auch reiche rumänische, bulgarische und griechische Gäste erwartet wurden. So entstanden in Preußen die Kirchen in Bad Ems (1876) und Bad Homburg vor der Höhe (1899), im Großherzogtum Baden in Baden-Baden (1882), im Königreich Bayern in Bad Kissingen (1901) und Bad Brückenau (1908) und im Großherzogtum Hessen in Bad Nauheim (1907).Die Errichtung wieder anderer orthodoxer Gottesdienststätten hing mit dynastischen Verbindungen zwischen dem russischen Zaren und deutschen Fürstengeschlechtern zusammen. Diese befanden sich daher auch zumeist in Schlössern, wie in Schwerin und Karlsruhe, jede in deren Nähe wie in Darmstadt, wo die 1899 erbaute kleine Kirche auf der Margarethenhöhe ein Geschenk des Großherzogs Ernst Ludwig an seinen Schwager, Zar Nikolaus II. und seine Schwestern, die russische Zarin Alexandra und die Großfürstin Elisaweta Fjodorowna, darstellt.

Obwohl die orthodoxen Gemeinden bei den meisten der genannten Kirchen nur sehr klein waren und selten mehr als einige Dutzend Mitglieder zählten, wirkten doch etliche bedeutende Persönlichkeiten zeitweilig als Geistliche in Deutschland, wie beispielsweise der Protopresviter Ioann Janyschew (1826 bis 1910), in den Jahren 1866 bis 1883 Rektor der St. Petersburger Geistlichen Akademie und von 1883 bis 1910 Spiritual der Zarenfamilie, oder der langjährige Berliner Gesandschaftsgeistliche Probst Erzpriester Alexi von Maltzew (1854 bis 1916). Dieser hat eine bis heute in Hinblick auf Vollständigkeit und praktische Anordnung unübertroffene vielbändige Ausgabe der liturgischen Texte der Orthodoxen Kirche in deutscher Sprache, oft mit russisch-kirchenslawischem Paralltext, herausgegeben und somit die Basis für die Feier des russisch-orthodoxen Gottesdienstes in deutscher Sprache gelegt.